Säbelrasseln in Korea

Nach dem neuerlichen Aufflackern des Konflikts zwischen Nord-und Südkorea bedarf es eines besonnenen Vorgehens der internationalen Staatengemeinschaft, allen voran Chinas und der USA, um die Situation an der innerkoreanischen Grenze nicht eskalieren zu lassen.

Text von Thomas Böhler


Formal haben die beiden Staaten der koreanischen Halbinsel das Ende des Koreakrieges 1953 nie in Form eines Friedensvertrages besiegelt. Noch immer sind abertausende Soldaten entlang der demilitarisierten Zone stationiert, die die beiden Staaten auf Höhe des 38. Breitengrades voneinander trennt. Die sogenannte „Sonnenscheinpolitik“ unter Südkoreas Präsident Kim Dae-jung, die mit der Verleihung des Friedensnobelpreises gewürdigt wurde, sollte nach der Jahrtausendwende für neue Impulse in der Außenpolitik des Landes sorgen und die aktive Zusammenarbeit mit dem sozialistischen Norden suchen, dessen dramatische Missstände – man spricht etwa von Folterungen und Hungersnöten – erst im vergangenen Jahr in einem UNO-Bericht dokumentiert wurden. Dieser Ansatz wurde unter Dae-jungs Nachfolger, Roh Moo-hyun, offiziell weitergeführt und verzeichnete 2007 mit der historischen Unterzeichnung einer Friedenserklärung mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il seinen größten Erfolg.

Neue Spannungen

Der aktuelle Präsident Südkoreas, Lee Myung-bak, verschärfte jedoch ab seiner Amtseinführung Anfang 2008 den Ton gegenüber dem nördlichen Nachbarn wieder zusehends. Besonders das nordkoreanische Atomprogramm sowie die mutmaßliche Versenkung des südkoreanischen Kriegsschiffes Cheonan im März 2010 durch einen nordkoreanischen Torpedo führten in den letzten Monaten zu neuerlichen Spannungen zwischen den beiden Staaten und riefen Reaktionen des UN-Sicherheitsrates hervor. Insofern reiht sich der aktuelle Konflikt nahtlos in eine Reihe von Auseinandersetzungen mit zunehmender Brisanz zwischen Nord und Süd ein.

Bombardement von Yeonpyeong

Infolge einer Militärübung des Südens feuerte Nordkorea am 23. November des Jahres mit Artilleriegeschützen auf die seit 1953 Südkorea zugehörige Insel Yeonpyeong an der Westküste des Landes im Gelben Meer, vier Südkoreaner – je zwei Zivilisten und Soldaten – kamen bei dem Zwischenfall ums Leben. Gegenseitige Beschuldigungen und Kriegsandrohungen ließen nicht lange auf sich warten, die Armeen beider Länder bezogen Stellung und das ohnehin schon frostige Klima zwischen den beiden Staaten wurde noch eisiger. Nach anhaltender Kritik an seinem zögerlichen Auftreten in der Causa räumte der südkoreanische Verteidigungsminister Kim Tae-young zugunsten von Kim Kwan-jin, einem früheren Generalstabschef, seinen Posten. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach im Zusammenhang mit dem Konflikt von „einem der gravierendsten Zwischenfälle seit Ende des Koreakrieges“. Erschwerend kommt außerdem der andauernde Zwist um den von den Vereinten Nationen festgelegten Seegrenzverlauf hinzu, der nach wie vor umstritten ist und vom Norden nicht anerkannt wird.

Hintergrund des Angriffs

Über die möglichen Motive Nordkoreas für den Beschuss können bis dato nur Mutmaßungen angestellt werden. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass der Angriff dem auch gesundheitlich angeschlagenen „geliebten Führer“ Kim Jong-il als innenpolitische Legitimation diente und außerdem seinen vermutlichen Nachfolger, Sohn Kim Jong-un, und damit seine eigene Dynastie-Herrschaft stärken sollte. Schließlich ist das nach wie vor weitgehend isolierte Nordkorea stark auf internationale Hilfsgüter-Lieferungen, etwa seitens seines wichtigsten Partners, der Volksrepublik China, angewiesen und hat zudem mit den schweren Folgen einer fehlgeschlagenen Währungsreform zu kämpfen. Auch der Zeitpunkt des Angriffs, nur knapp eine Woche nach Abschluss des G-20-Gipfels in Seoul, ist wohl kein Zufall und sollte möglicherweise der internationalen Anerkennung des Südens schaden.

Die Rollen Chinas und der USA

Die USA haben sich ohne Zögern hinter ihren Verbündeten Südkorea, wo etwa 30.000 US-amerikanische Soldaten stationiert sind, gestellt und mit dem gemeinsamen Militärmanöver Ende November klare Abschreckungssignale gen Norden gesandt. Washington muss allerdings darauf achten, den Norden nicht zu weit zu provozieren, schließlich stehen auch die Verhandlungen um dessen Atomprogramm auf dem Spiel. Auf der anderen Seite erscheint China in dieser Situation als das einzige Land, das tatsächlich etwas gegen Nordkoreas Brinkmanship, sein „Spiel mit dem Feuer“, ausrichten und Kim Jong-il zur Räson bringen könnte. China hat es bisher stets vermieden, Nordkorea öffentlich für den letzten Angriff auf den südlichen Nachbarn zu verurteilen, und auch von den USA lässt sich Peking nicht gerne zu klareren Worten und Taten drängen.

Peking selbst aber muss in besonderem Maße auf eine De-Eskalation und Stabilität in der Region bedacht sein, würde doch ein umfassenderer koreanischer Konflikt nicht nur das nordkoreanische Flüchtlingsproblem weiter verschärfen, sondern auch die eigene Wirtschaft und Sicherheit gefährden. Auch wenn China – so wie dies kürzlich von der Enthüllungs-Plattform WikiLeaks veröffentlichte „Cablegate“-Dokumente suggerieren – entgegen bisheriger Annahmen möglicherweise sogar eine Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas akzeptieren würde, so zeigt sich Peking offiziell unbeeindruckt davon: Die chinesische Regierung forderte vielmehr zur Beruhigung der Lage multilaterale Sechs-Parteiengespräche mit den beiden Koreas, den USA, Russland und Japan – ein Vorschlag, der allerdings besonders auf Seiten Südkoreas, aber auch Japans und der USA, auf wenig Wohlwollen gestoßen ist.

Die Fakten sind rar

Doch vielleicht kommt ja doch alles auch ganz anders: Der Spiegel berichtete von einer Studie der US-Bank Goldman Sachs aus dem Jahr 2009, die Nordkorea im Falle einer wirtschaftlichen und politischen Neuausrichtung und langfristig einer Wiedervereinigung mit dem Süden ein erhebliches Wirtschaftspotential prophezeit, basierend auf günstigen demografischen Trends, einem hohen Arbeitskräftereservoir sowie reichen Rohstoffvorkommen. Analysten der Bank waren es übrigens auch, die vor einigen Jahren das heute anerkannte Konzept der BRIC-Staaten entwickelt haben.

Faktum ist jedoch heute: Die Welt hat wenig handfeste Informationen über Nordkoreas genaue Absichten, und Kim Jong-il und seine Militäreliten haben schon allzu oft ihre Unberechenbarkeit im Katz-und-Maus-Spiel mit dem Westen unter Beweis gestellt. Und sollte es tatsächlich in den Beziehungen mit Peking zusehends kriseln, so würde dies wohl weiteren innenpolitischen Druck für Kim Jong-il und seine Dynastie bedeuten. Pjöngjang hat es jedenfalls neuerlich geschafft, auch die Aufmerksamkeit der USA auf sich zu ziehen und versucht damit wohl Druck auszuüben, um eine Anerkennung als Atommacht und die Aufhebung von Sanktionen zu erzwingen. Dass ein Friedensschluss mit Seoul dadurch in noch weitere Ferne rückt, scheint wohl nur von sekundärer Bedeutung zu sein.

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